Einleitung
Irgendwas zwischen Irrsinn und Rebellion. Besser ist diese Reise glaube ich nicht zu beschreiben. Einfach gebucht, gepackt und plötzlich sitze ich im Bus alleine nach Schweden. Wie im Fibertraum. Aber ein Fibertraum in dem ich so viel Freude und Adrenalin spüre wie schon lange nicht mehr. Alleine reisen ist jetzt mein Ding.
Fakten:
Reise: Bad Pyrmont - (Zug) - Braunschweig - (Zug) - Magdeburg - (Zug) - Berlin - (Bus) - Göteborg - (Zug) - Mellerud - (zu Fuß) - Åmål
Dauer Reise: 3 Tage
Dauer Urlaub: 9 Tage
Strecke zu Fuß: 82 km
Höhenmeter: 850 m
Packliste
Wanderausrüstung
- Rucksack
- Einmannzelt
- Isomatte
- Schlafsack
Bekleidung
- 3x T-Shirt
- 2x Thermo-Langarmshirt
- 3x Hose (2x Wanderhose, 1x Schlafhose)
- 4x Sockenpaar
- 4x Unterwäsche
- Regenjacke
- Handschuhe
- Turnschuhe
- Badeanzug
Hygiene- und Drogerieprodukte
- Zahnbürste
- Zahnpasta
- Wattestäbchen
- Bürste
- Deo
- Sonnencreme
- Shampoo
- Gesicht-Waschgel
- Spüli
- Feste Dusche
- Tampons
- Binden
- Feuchttücher
- Mizellenreinigungstücher
- Mückenschutz
- Taschentücher
- Handtuch
- Wimperntusche
Kochen und Ernährung
- 1x Löffel, Gabel, Messer
- Topf
- Tasse
- 2x Feuerzeug
- Gaskocher
- Wasserfilter
- Treckingnahrung conserva.de
- 14x Proteinriegel
- 6x Instantkaffee
- 8x Tee
Technik
- Handy
- Tablet
- 2x Ansteckmikrofon
- 2x Solar Powerbanks
- Ladekabel
Sonstiges
- Tagebuch + Stift
- Wasserfeste Handyhülle
- Selfiestick
- Erste Hilfe Set
- Axt
- Säge
- Portmonee
Dinge die noch praktisch gewesen wären
- Halstuch
- Bus- und Zugtickets ausgedruckt und laminiert
- Wanderkarte
- mehr Socken
- mehr Pflaster
Dinge die unnötig waren
- Ansteckmikrofon
- Selfiestick
- 1x Solar Powerbank
- 4x Instankaffee
- 6x Tee
- Spüli
- Mückenschutz
Packstrategie
- Schwere Gegenstände nah am Rücken und in der Mitte des Rucksacks platzieren
- Häufig benötigte Dinge griffbereit verstauen (z.B. Wasser, Regenjacke)
- Kleidung und Schlafsack in wasserdichten Beuteln verpacken
Anreise
Am Samstag, dem 6. Juli 2024, beginnt meine Reise endlich – pünktlich um 12:55 Uhr am Berliner Busbahnhof. Ich habe mich für die Anreise mit dem FlixBus entschieden, vor allem, weil es die günstigste Option war. Der Einstieg verläuft reibungslos, trotz meiner Befürchtung, dass mein Rucksack zu groß oder schwer sein könnte. Zum Glück misst niemand mit Zollstock und Waage nach, also läuft alles glatt. Ich finde oben einen freien Platz – gleich zwei Sitze für mich allein. Perfekt.
Nach zwei Polizeikontrollen und einer Fährfahrt nach Dänemark bin ich endlich in Schweden. Schlafen? Keine Chance. Ich bin viel zu aufgeregt, und es ist einfach noch zu hell. Die Stunden ziehen sich, und nach insgesamt 14 Stunden Fahrt kommen wir um 03:05 Uhr am Nils Ericson Terminal in Göteborg an. An Schlaf war auf der gesamten Fahrt nicht zu denken – unbequem, laut und einfach zu aufregend.
Jetzt heißt es: bis 9 Uhr am Bahnhof warten, bis der erste Zug kommt. Glücklicherweise sorgt die Security hier dafür, dass alles ruhig bleibt, und die Atmosphäre ist angenehm. Der Bahnhof ist sauber, aber ein Typ macht mir Sorgen – er legt sich ständig auf den Boden, um zu schlafen, was hier natürlich nicht erlaubt ist. Die Sicherheitsleute sind irgendwann genervt genug, dass es handgreiflich wird, und sie werfen ihn raus.
Nach gefühlten endlosen sechs Stunden Warten kann ich endlich den Zug nach Mellerud nehmen. Die Züge in Schweden sind eine Wohltat: sauber, pünktlich und bequem. Alle haben einen Sitzplatz, und für einen Moment denke ich darüber nach, kurz die Augen zu schließen. Aber ich will auf keinen Fall meinen Stopp verpassen. Also bleibe ich wach.
Kaum in Mellerud angekommen, begrüßt mich das typische schwedische Wetter: Regen und Wind. Ich muss tief in meinem Rucksack wühlen, um meine Regenjacke zu finden – typisch, dass sie ganz unten liegt. Mein nächstes Ziel ist ein Einkaufscenter, denn mein Handyladekabel funktioniert nicht. 99 schwedische Kronen (ungefähr 8,71 Euro) später habe ich ein neues Kabel.
Hungrig mache ich mich auf den Weg ins Restaurant „Kanyas“, ein All-you-can-eat-Buffet, das genau das Richtige ist. Für 150 Kronen (13,20 Euro) gibt es so viel Essen, wie ich möchte, und dazu noch freie Getränke. Die Mitarbeiter sind super freundlich, und nach dem Essen bin ich wieder vollgetankt mit Energie.
Gegen 13 Uhr, gestärkt und bereit für den nächsten Schritt, mache ich mich auf den Weg zum Startpunkt meines großen Abenteuers.
Tag 1
Der Wind pfeift mir um die Ohren, und schon die ersten drei Kilometer sind eine echte Herausforderung. Aber als ich endlich in Holm ankomme, bei der alten Kirche, die den offiziellen Startpunkt markiert, packt mich die Aufregung. JETZT GEHT ES RICHTIG LOS!
Nach 20.000 Schritten entdecke ich endlich einen See, wo ich übernachten könnte. Aber mein Handy... es ist aus und lässt sich nicht mehr einschalten. Und als ob das nicht schon genug wäre, habe ich es geschafft, mein Wasser zu vergessen. Wie dämlich kann man eigentlich sein? Jetzt stehe ich hier, total erschöpft, ohne Handy, ohne Wasser – seit sieben Stunden habe ich keinen Tropfen mehr getrunken, seit über 30 Stunden nicht mehr geschlafen. Kein Schlafplatz in Sicht, und ich könnte heulen – doch es kommen keine Tränen. Wahrscheinlich, weil ich so ausgetrocknet bin.
Zu allem Überfluss ist der See von Privatgrundstücken umgeben, und ich komme nicht einmal ans Wasser. Was für ein Tag.
Erster Lifehack: Scharfe Kaugummis kauen, damit der Speichelfluss angeregt wird – hilft zwar ein wenig gegen das Durstgefühl, aber lange hält das auch nicht.
Ich schleppe mich weiter und endlich, ENDLICH, sehe ich keine Häuser mehr. Stattdessen entdecke ich drei Typen, die in Hängematten herumhängen. Also frage ich vorsichtig: „Excuse me, is this your property?“ Vielleicht lassen sie mich ja mein Zelt aufstellen. Zurück kommt nur: „Sprichst du Deutsch?“ Super, mein Akzent ist anscheinend nicht zu überhören. Aber immerhin kann ich mich jetzt verständigen.
Die drei – Pascal, Domenik und Johannes, irgendwo zwischen 23 und 30 – sind super nett (jedenfalls zu mir) und erlauben mir sofort, mein Zelt bei ihnen aufzuschlagen. Zwar nicht direkt am Wasser, aber Hauptsache, ich kann endlich schlafen und etwas trinken.
Mein Ausblick aus dem Zelt
Dann schalte ich noch einmal mein Handy ein... und es funktioniert! Schnell rufe ich meine Eltern an, um ihnen mitzuteilen, dass das Handy spinnt. Während des Gesprächs geht der Bildschirm wieder aus, aber immerhin kann ich noch telefonieren, also ist anscheinend nur der Bildschirm kaputt. Meine Eltern geben mir die wichtigsten Telefonnummern durch, und ich schreibe sie sicherheitshalber in mein Reisetagebuch. Ab jetzt hoffe ich, jeden Abend jemanden zu treffen, der mir sein Handy leiht, um ein Lebenszeichen zu geben.
Völlig erledigt esse ich noch schnell einen Riegel und falle in mein Zelt. Doch bevor ich einschlafe, bekomme ich noch eine kleine Dosis Machogehabe mit: Domenik erzählt am Lagerfeuer von seiner Freundin und benutzt Wörter, die ich hier lieber nicht wiederholen will. Sind wir wirklich an dem Punkt angekommen, dass man so über die Menschen spricht, die man liebt?
Tag 2
Gut ausgeschlafen werde ich vom leisen Trommeln des Regens geweckt. Ich bleibe noch ein bisschen im Schlafsack liegen, genieße den Moment und realisiere, wo ich bin und was ich hier eigentlich tue. Ich habe den ersten Tag überstanden! Von jetzt an geht es nur noch vorwärts.
Nach etwa 30 Minuten mache ich mich für den Tag fertig und bereite mein Frühstück vor: Blaubeersuppe. Das heißt, Packung aufreißen, Wasser dazu, fertig. Überraschenderweise schmeckt sie richtig gut und gibt mir Hoffnung, dass das Essen in den kommenden Tagen genießbar sein wird.
Trotzdem wundere ich mich: Wo sind eigentlich die Blaubeeren? Ich hatte gehofft, frische Blaubeeren in meine Suppe zu werfen, aber bislang habe ich keine gesehen.
Nachdem ich gefrühstückt habe, packe ich alles zusammen und verabschiede mich von den Jungs. Sie sagen, dass der Regen bald aufhören soll – gute Nachricht! Pascal zeigt mir auf seinem Handy den Weg zum nächsten und letzten Supermarkt auf meiner Route, wo ich mir Wasser besorgen kann.
Die Strecke zum Supermarkt scheint einfach: Zwei Kilometer dem Wanderweg folgen, dann zweimal links abbiegen. Aber irgendwie verpasse ich die richtige Kreuzung und entscheide mich einfach, dem Weg weiter zu folgen, um nicht zu viel Zeit zu verlieren und ich habe Angst wenn ich falsch gehe, dass ich den Wanderweg nicht mehr wiederfinde. Und siehe da, plötzlich stehe ich in Upperud! Draußen vor einem Haus sitzen drei Leute, und ich frage sie, ob sie wissen, wo ich Wasser herbekommen kann. Eine Frau sagt mir, dass ein Café gleich um die Ecke ist und ich dort bestimmt Wasser bekomme.
Museicafé Bonaparte
Ich betrete das Café, aber niemand ist da. Plötzlich kommt eine alte Dame aus dem Hinterzimmer und klingelt für mich – so süß, sie hat wohl gesehen, dass ich etwas verloren aussehe. Drei junge Kellner, 17 und 18 Jahre alt, kommen nach vorne und hören sich meine Situation an. Ich zeige auf die Wasserflasche, die ich kaufen möchte, aber sie schenken sie mir einfach so. Ich liebe die Schweden jetzt schon! Wir plaudern ein bisschen, und eine der Kellnerinnen spricht sogar etwas Deutsch, weil sie ein Austauschjahr in Deutschland gemacht hat. Sie erzählen mir, dass viele Deutsche nach Schweden ziehen, wahrscheinlich wegen der wunderschönen Landschaft. In dieser Position sehe ich mich auch irgendwann!
Glücklich (einmal, weil ich jetzt Wasser habe, aber auch wegen meines Mutes so offen auf Fremde zuzugehen) mache ich mich wieder auf den Weg und verlasse Upperud – den letzten Ort, den ich für eine Weile sehen werde. Am Ortsausgang finde ich eine Infotafel mit einer Karte der Route. Schnell zücke ich mein Tablet und mache ein Foto davon, damit ich mich unterwegs orientieren kann.
Nun beginnt die eigentliche Wanderung durch Schwedens beeindruckende Natur. Es ist verrückt, nach nur 500 Metern sieht die Umgebung schon ganz anders aus – neue Bäume, andere Pflanzen, und der Weg verändert sich ständig. Es ist faszinierend und hält die Wanderung spannend. Bald kommen die ersten Höhenmeter, und endlich – überall Blaubeeren! Ich kann nicht widerstehen und muss alle paar Meter anhalten, um welche zu pflücken. Meine Zunge und Lippen färben sich lila, aber die Blaubeeren stillen meinen Durst und machen die Wanderung noch schöner.
Vier Stunden später erreiche ich den ersten Aussichtspunkt. Der Ausblick ist einfach atemberaubend – ich sehe den Vänern in der Ferne und viele kleine Seen. Vielleicht werde ich an einem dieser Seen heute Nacht schlafen.
Der Abstieg gestaltet sich schwieriger als erwartet. Der Weg ist steil und rutschig, und ich habe unglaubliche Angst auszurutschen. Ein Sturz auf die Felsen könnte böse enden, also nehme ich mir viel Zeit. Nach gefühlten Stunden bin ich endlich unten angekommen.
Zehn Kilometer später erreiche ich mein Ziel: ein Shelter direkt am See. Es gibt eine Feuerstelle, Bänke und sogar ein Toilettenhäuschen – was für ein Luxus! Ich entscheide mich, mein Zelt aufzubauen, falls noch andere Wanderer kommen und den Shelter nutzen wollen.
Ich sammle Holz für ein Feuer, doch es ist schwierig, etwas Trockenes zu finden. Zweiter Lifehack: Tampons als Zunder verwenden. Es funktioniert perfekt, und schnell lodert ein kleines Feuer. Kurze Zeit später taucht ein Mann auf, der hier in der Nähe lebt und nur spazieren geht. Er fragt, ob ich schon Rehe, Elche oder Luchse gesehen habe – zum Glück noch nicht! Dann erzählt er mir von einem Biber, der in diesem See lebt, und dass er ihn heute schon auf dem Wasser gesehen hat. Tatsächlich sehe ich den Biber später auch, als der Mann längst weg ist. Diese Tiere sind viel größer, als ich dachte!
Der Mann sammelt auf seinem Rückweg sogar noch Trockenholz für mich, was ich dankend annehme.
Als er weg ist, beschließe ich, schwimmen zu gehen. Doch das Wasser ist eisig kalt, und ich beeile mich, wieder herauszukommen. Leider erlischt mein Feuer schneller als gedacht, aber zum Glück mache ich mir gleich etwas Warmes zu essen: Pasta Carbonara und Tee.
Langsam frage ich mich, ob die Jungs von heute Morgen vielleicht doch noch auftauchen. Es wäre schön, nicht ganz alleine zu sein. Doch leider bleibt es ruhig. Die Nacht wird unruhig – ich friere und schrecke bei jedem kleinen Geräusch auf. Irgendwann schlafe ich ein, wache aber immer wieder auf. Zum Glück dauert die Dunkelheit hier nur etwa vier Stunden, der Rest des Tages ist hell – man merkt direkt was das mit der Psyche macht und ich bin erst seit 2 Tagen hier.
Tag 3
Nach einer Nacht voller unruhigem Schlaf, wache ich gegen 7 Uhr auf. Doch anstatt der üblichen Vögel oder des Windes höre ich etwas Unerwartetes – Hufgetrappel. Mein Herz setzt für einen Moment aus. Hufe auf den Steinen, ganz nah bei meinem Zelt. Kann das wirklich sein? Ich liege reglos, fast gelähmt vor Schreck. Kein Geräusch, keine Bewegung – vielleicht geht es ja einfach weg. Aber meine Neugier ist stärker als die Angst. Vorsichtig, in Zeitlupe, öffne ich den Reißverschluss meines Zeltes. Es dauert eine Ewigkeit, erst das Fliegengitter, dann den Sichtschutz. Ich öffne nur wenige Zentimeter, aber was ich sehe, lässt mich vor Staunen erstarren.
Drei Meter von mir entfernt steht eine Elchkuh – majestätisch und friedlich. Sie trinkt seelenruhig aus dem See, demselben, in dem ich gestern noch geschwommen bin. Mein Herz pocht wie wild, doch ich wage es nicht, mich zu bewegen. Dann höre ich ein leises Klappern von der Feuerstelle. Langsam drehe ich meinen Kopf – und da steht es: Ein kleines Elchkalb, das neugierig versucht, an die Kartoffelschalen zu kommen, die andere Wanderer unter dem Gitter der Feuerstelle zurückgelassen habe. Mir wird heiß und kalt zugleich. Eine Elchkuh, die ihr Junges beschützt, ist alles andere als ungefährlich. Wenn sie mich als Bedrohung wahrnimmt, könnte es übel ausgehen.
Ich halte den Atem an und bleibe stocksteif liegen. Minuten vergehen, in denen die beiden ruhig weiter ihrem Geschäft nachgehen. Und dann, so plötzlich wie sie aufgetaucht sind, verschwinden sie wieder lautlos im Wald. Ich bleibe regungslos zurück, überwältigt von dem, was gerade passiert ist. Der Adrenalinschub lässt mich immer noch zittern, als plötzlich eine Krähe mit lautem Geschrei an der Lasche meines Zeltes zupft. Das löst meine Schockstarre, und ich lache leise über die absurde Situation. Der Schreck weicht einer tiefen Müdigkeit, und ich lege mich noch einmal hin.
Als ich um 10 Uhr wieder aufwache, hat die Sonne mein Zelt angenehm aufgeheizt. Die Kälte der Nacht ist verflogen, und ich fühle mich bereit für den neuen Tag. Ich mache mir einen einfachen Zopf – meine neue Lieblingsfrisur für die Wanderung – und frühstücke Reispudding mit Himbeeren. Es ist lecker und gibt mir die nötige Energie. Nachdem ich mein Lager abgebaut habe, setze ich meinen Weg fort, über Stock und Stein, durch Matsch und Moor. Nasse Füße? Kein Problem mehr, ich habe mich inzwischen daran gewöhnt.
Nach gefühlten zwei Stunden (in Wirklichkeit waren es 4) erreiche ich den nächsten Shelter am See „Flat“. Ein wunderschöner Ort, aber etwas lässt mich innehalten: Überall liegt Make-up verstreut. Es sieht aus, als hätten die vorherigen Besucher fluchtartig den Platz verlassen. Mein erster Gedanke: Gefahr? Aber dass sind nur meine ersten Gedanken. Dann frage ich mich: Wer bringt bitte eine komplette Make-up-Tasche auf eine Wanderung? Kopfschüttelnd sammle ich die verstreuten Utensilien ein und stecke sie in die Kulturtasche – zumindest etwas Ordnung schaffen.
Das Wasser im See hat einen leichten Orangeton, aber ich trinke trotzdem ein paar Schlucke. Mal sehen, ob es mir in einer Stunde noch gut geht. Wenn ja, brauche ich es nicht zu filtern. Danach setze ich mich in den Shelter und überlege, wo ich mein Zelt aufbauen soll. Am liebsten würde ich es direkt im Shelter aufstellen. Geschützt vor Regen und Wind, mit einem flachen Untergrund – klingt perfekt. Also mache ich es einfach. Wenn jemand kommt und den Platz braucht, mache ich eben Platz.
Kaum habe ich mein Zelt aufgestellt, kommt ein norwegisches Paar vorbei und setzt sich an den See. Wir reden nicht viel, sie machen ihre Pause und ziehen nach etwa 30 Minuten weiter. Kurz überlege ich, ob ich sie fragen soll, ob ich mit ihrem Handy meine Familie anrufen darf, aber ich traue mich nicht. Als sie verschwinden, merke ich, dass ich noch immer nicht genau weiß, wo der Wanderweg weitergeht. Doch nach wenigen Minuten kommen sie zurück, sichtlich verwirrt. Aha, sie suchen den Weg! Ich beobachte sie genau, merke mir die Richtung und bin beruhigt, dass es der gleiche Weg ist, den ich gekommen bin.
Später kommen drei deutsche Wanderer vorbei, und für einen Moment hoffe ich, dass sie bleiben und ich Gesellschaft für die Nacht habe. Aber sie gehen weiter. Dann taucht Johannes auf – allein. Er erzählt mir, dass Pascal und Dominic aufgegeben haben. Sie konnten den Regen nicht mehr ertragen. Zwei Männer brechen ab, und ich, ein 18-jähriges Mädchen, freue mich über den Regen, weil es dann nicht so heiß ist. Dieser Gedanke lässt mich schmunzeln und gibt mir ein kleines Gefühl der Überlegenheit.
Johannes bleibt und baut seine Hängematte auf. Ich leihe ihm ein paar meiner Heringe, damit er sicher schlafen kann. Während er sich einrichtet, beschließen wir, ein Feuer zu machen. Die Sonne mag zwar scheinen, aber ein prasselndes Feuer gibt immer noch Wärme und Geborgenheit. Johannes beginnt, Holz zu sammeln, und ich hole meine Säge hervor. Gemeinsam arbeiten wir daran, das Holz in handliche Stücke zu zerlegen – er sägt, ich halte die Stämme fest, damit es leichter für ihn ist. Das rhythmische Sägen und das Knistern des Feuers, das bald darauf lodert, schaffen eine gemütliche Atmosphäre.
Johannes geht kurz schwimmen, während ich das Feuer am Leben halte. Als er zurückkommt, kochen wir beide etwas zu essen und unterhalten uns. Ich erzähle ihm von den Elchen heute Morgen, und er berichtet, dass er in der letzten Nacht einen Vielfraß gehört hat. Noch ein Tier, vor dem ich Respekt haben muss. Aber irgendwie gehört das alles dazu – die wilden Tiere, die Natur, das Feuer. Es fühlt sich an, als ob ich mitten in einem Abenteuerfilm stecke.
Wir philosophieren über unsere Schlafplätze: Hängematte versus Zelt. Johannes hällt nicht viel von seiner Hängematte. Er gibt zu, dass sie beim Schlafen wackelig und unbequem ist. Leichter zu tragen, aber auf Kosten des Komforts. Für mich steht fest: Ich bin froh, mein Zelt zu haben.
Bevor wir schlafen gehen, darf ich mit seinem Handy meine Eltern anrufen. Es ist ein so gutes Gefühl, ihre Stimmen zu hören, und ich freue mich besonders, als meine beste Freundin plötzlich ans Telefon kommt und mich scherzhaft dafür ausschimpft, dass ich mich zwei Tage lang nicht gemeldet habe. Das habe ich wirklich vermisst.
Irgendwann kehrt Ruhe ein, und ich bin dankbar, heute Nacht nicht alleine zu sein. Endlich könnte es eine Nacht ohne Angst werden.
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